Lockdown, geschlossene Musikschulen, Kontaktbeschränkungen – das gemeinsame Musizieren kam in den Monaten von Corona zu kurz. Die behutsame Öffnung zeigte uns jetzt überdeutlich, was wir vermisst haben und wie gut Musik tut – sei es nun Instrumentalmusik oder Gesang. Wir haben dafür zehn Punkte formuliert: Warum Musizieren so wichtig ist – gerade während und nach Corona.

1. Gemeinschaft und Musik

Kontaktverbote während der Pandemie haben viele zeitweilig zu Einzelgängern gemacht. Das soziale Miteinander fehlte so sehr! Als unser Musikinstitut zunächst für den Einzelunterricht wieder öffnen durfte, haben wir den Musikunterricht in Gesang und an den Instrumenten alle sehr genossen. Was uns darüber hinaus fehlte, wurde uns bewusst, als auch Ensembles wieder proben durften: Das gemeinsame Singen, Musizieren und Erklingen tut Geist und Körper sehr gut.

Auf die anderen hören, auf Mitsänger reagieren, sich auf andere Menschen besinnen und zusammen Klänge, Musik und Erleben kreieren – das ist und bleibt eine Wohltat.

2. Mit Musik zurück ins Leben

Wir haben so viele Wochen in den eigenen vier Wänden verbracht! Zum Glück konnten wir auf Online-Unterricht ausweichen. Aber das war natürlich kein voller Ersatz für Präsenzstunden. Gerade die jüngeren oder auch die besonders sensiblen Kinder und Erwachsene kamen mit der Technik manchmal nur schlecht zurecht. Ihnen war zu viel Technik und Equipment zwischen ihnen selbst und der Lehrkraft. In pragmatischer Hinsicht war es natürlich für den Instrumentalunterricht sehr zweckmäßig: Die Schülerinnen und Schüler konnten neue Stücke üben und dran bleiben. Ausnahme blieb der Gesang – hier war der Onlineunterricht besonders schwierig.

Der Neustart von Musikunterricht und Probenarbeit bringt uns nun zurück in die Außenwelt. Wir bekommen wieder mehr Struktur für unseren (musikalischen) Alltag: Regelmäßige Probentermine, Üben auf einen Auftritt hin, das Einstudieren neuer Noten zu Hause für den Unterricht – das bündelt die Konzentration und ordnet den Alltag neu.

3. Gefühle und Gedanken musikalisch ausdrücken

Gerade Kinder und Jugendliche haben unter Lockdown und Kontaktverboten stark gelitten. Wie lassen sich diese starken Emotionen verarbeiten? Musik und Theater sind ideale Medien, um Trauer, Ärger und Freude unmittelbar auszudrücken. Das zeigt sich im musikalischen Wirken eines jeden Einzelnen – und besonders eindrücklich im Theaterstück CO_RO_NA_20.21, das unser Kinderchor Kids selbst geschrieben und aufgeführt hat.

4. Corona-Erlebnisse mit Musik verarbeiten

Plötzlicher Rückzug, Bedrohung durch das Virus, Einsamkeit: Diese bedrängenden Gefühle wollen ausgedrückt werden. Die Kinder unserer Chöre haben dafür Sprechgesänge und einen Rap entwickelt. So verarbeiteten sie Erlebtes und stellten überrascht fest, dass Gleichaltrige während der Corona-Zeit ähnlich beklemmende Gefühle entwickelt hatten. Und dass sie sich durch gemeinsames Musizieren ausdrücken und verarbeiten lassen.

5. Freude und Unbeschwertheit im Musikunterricht zurückerobern

Als unsere Kinderchor-Gruppen zu den ersten gemeinsamen Proben nach dem Lockdown wieder ins Musikinstitut kamen, war ihnen das Erlebte deutlich anzumerken. Viele waren in sich gekehrt und innerlich und äußerlich ganz auf Abstand eingestellt. Allmählich tauchten durch Lieder, Spiele und Tänze die alte Fröhlichkeit und das eingespielte Miteinander wieder auf.

6. Entspannung für Körper und Geist finden – mit Gesang und Instrumenten

Corona hat sich auch unserer Körper bemächtigt. Zu den ersten Musikstunden nach Ende des Lockdowns kamen Schülerinnen und Schüler, die in ihrer Haltung, Mimik und Einstellung unwillkürlich ausdrückten: Ich bin vorsichtig und in mich gekehrt. Ich halte Abstand. Ich bin erschreckt. Ich habe Angst. Wir Musiklehrerinnen beobachteten verhaltenes Agieren, eine blockierte Atmung, verspannte Muskeln. Ganz behutsam gingen wir im Unterricht damit um, schufen Reize zum Wiederanknüpfen und brachten die Körper wieder zurück in ihre entspannte Form.

Das geschah ganz individuell, denn jeder hat die Corona-Zeit anders in Körper und Geist abgespeichert. Ein Beispiel: Eine erwachsene Sängerin haben wir erst einmal im Liegen die Einsingübungen machen lassen. Ein Ensemble zum Wiederfinden des Klangs in eine akustisch stärker verbindende Kapelle gestellt. So finden wir nach und nach durch die Musik zurück zu einem entspannten Körper und Geist. Wir stellen uns wieder neu auf die Füße, kommen wieder in Kontakt, finden zurück zur Atmung und zum Klang. Das ist ein Hochgenuss. Und dringend notwendig.

7. Gruppenunterricht, Ensemble, Chor: Neues Vertrauen zu sich selbst und zur Gruppe entwickeln

Das gemeinsame Singen blieb lange auf der Strecke. Wir gehen in unserer Probenarbeit behutsam darauf ein. Absgesehen davon, dass sich das Singen auf Abstand immer noch ungewohnt anfühlt und anhört. Mit unserer Anleitung finden sich die Stimmen und die musikalische Gemeinschaft langsam wieder. Und finden durch individuelle Übungen zurück zu der Lockerheit und Gelöstheit, die unabdingbar sind für einen guten Klang.

Die Sängerhaltung braucht eine gute Basis, die Körperhaltung braucht Zutrauen. Corona hat aber in vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit geweckt. Diese innere Haltung, sich nicht frei zu fühlen, ist beim Singen jedoch kontraproduktiv. Daran arbeiten wir gerade. Sehr behutsam und ganz inidividuell.

8. Kultur als Lebensmittel entdecken – nicht nur für Corona-Zeiten

Kinder und Erwachsene brauchen die Musik als Seelenfutter, um die Zeit zu verarbeiten und auch um mit Körper und Atmung wieder auf das Vorniveau kommen. Musik hilft dabei, sich wohlzufühlen in Körper und Seele. Die Arbeit mit der Stimme kann dabei helfen, sie kann aber auch viel offenlegen. Beim Nachspüren haben manche erst mal merkt, was gefehlt hat und wo es überall klemmt. Gemeinsam bauen wir Spannungen und Barrieren ab.

Wir spüren gerade sehr deutlich, welche heilende Wirkung Musik und Musizieren haben. Musik, Theater und Tanz sind ein wichtiger Ausgleich zu einem beschwerten Alltag. Das ist eine zentrale Erkenntnis der Corona-Zeit. In andere Welten abtauchen, sich ablenken, den Körper und Geist mit Musik versenken und neu entdecken – das alles war Balsam für unsere Seelen. Wie gut, dass wir die Musik haben!

9. Hoffnung und neuen Mut fassen für die Zeit nach Corona

Irgendwann geht es weiter. Irgendwann gibt es wieder Auftritte und gemeinsame Proben auf ein Ziel hin. Der Gedanke daran hat uns belebt und Hoffnung gegeben. Die ersten Öffnungen für den Einzelunterricht waren dafür ein wichtiges Signal. Nun hoffen wir auf stabile Proben- und Unterrichtsbedingungen

10. Mit Musik Ausgleich schaffen zum Pandemiealltag

Für manche Menschen haben sich in der Corona-Zeit existentielle Sorgen ergeben. Die Musik ist und bleibt ein wichtiges Ventil, um Nöte zu verarbeiten. Für die Kinder und Jugendlichen haben wir extra einige Sonderaktionen nach dem Lockdown veranstaltet, darunter etwa Probenwochenenden, einen Ausflug an den Ammersee, einen Besuch im Dießener Carl-Orff-Museum etc.

Text: Petra Harenbrock, Augsburger Textekiste

Studien zur Musik in der Corona-Zeit

https://www.musikrat.de/corona/corona-studien-fuer-das-musikleben

https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/musikermedizin/aktuelles

https://bundesmusikverband.de/corona-regeln-ueberblick/